Statements

Prof. Franz Joseph van der Grinten - Kein Spiel ohne Regel

F. J. van der Grinten mit Franz SrownalKein Spiel ohne Regel; aber wenn die Regel keinen Spielraum ließe, könnte sich nichts entfalten, was lebendig sein will und soll. Kunst rechtfertigt sich aus der Form, aber ihre faszinierende Vielfalt verdankt sich der Freiheit im Umgang mit den Ansprüchen, die jene zu erheben berechtigt ist. Ihnen gegenüber will auch die spontanste Äußerung verantwortet sein, ohne sich dadurch lähmen zu lassen. Notwendige Freiheiten im Verbund mit notwendigen Regeln. Beider Grenzen sind individuell bestimmt. Wer auf Ordnung hin veranlagt ist, wird planen. Wer auf das, was in Erscheinung tritt, Schritt für Schritt unvoreingenommen reagieren kann, dem ergibt sich die letztlich gültige Ordnung schrittweise, aus der einen Maßnahme folgt die andere, und wenn die Gewissheit der Vollendung das Spiel enden lässt, ist die definitive Ordnung nicht weniger unwiderleglich als eine vorgeplante. Nicht werden, was schon vorher war, sondern sein, was geworden ist. Organisches Wachstum. So hat, wie jede Kreatur, auch jede Kreation im Rahmen ihrer allgemeinen Möglichkeiten ihr eigenes Gesetz.

Franz Srownal läßt, was durch ihn geschaffen wird, wachsen, reifen, zur Frucht werden. Aber nicht einfach so – wie ja eigentlich nichts wird-, sondern in Nachdenklichkeit zuinnerst beansprucht und eingesetzt. Seine Bilder sind Beispiele eines Wachstums aus der irrationalen Logik eines ad hoc bildnerischen Denkens. Entsprechend der allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden, von der Kleist geschrieben hat, entsteht bei ihm die sichtbare Erscheinung aus der Konsequenz der Linien und Pinselstriche, mit der der jeweils folgende auf die bereits manifestierten reagiert. Ein Kunstwerk ist monologisch, indem es nur einen Sprecher, einen Autor hat, aber so wie es hier geschieht, entsteht es im Dialog mit sich selbst, dem der Autor aufmerksam lauscht.

Wenn Beuys gesagt hat, Zeichnen sei die Verlängerung des Gedankens, so meinte er den anderen Weg, auf dem das aus dem Denken Entstehende sich nach außen zu Bewusstsein bringt: nicht per Schrift wie das Wort, sondern per Linie und Pinselzug wie das, was, indem es zum Gedanken wird, Kontur gewinnt, bevor man ihm mit dem Wort einen Namen gibt. Was sichtbar ist, muss nicht hörbar werden, auch nicht im übertragenen Sinne.

Franz Srownals Bilder entstehen formbewusst, aber in einer unreglementierten Folgerichtigkeit. Was gefügt wirkt, hat sich erst im Entstehen gefügt. Und mag es die große Ordnung bestimmen, so erfährt diese in ihren Wachstumsschüben zugleich eine Ausprägung von Vereinzelungen, die organisch erscheint und sich energetisch auswirkt. Spannung also zwischen in sich ruhenden Teilen und solchen, die in ihrem Unterwegssein nicht so sehr angehalten werden, dass ihr Schub und Drang nicht beunruhigend spürbar bliebe. Und wenn auch das jeweils Ganze sich gehörig die Waage hält, so doch im Verhalten des Schwungs, in behutsamer Ponderation, in divergierender Gerichtetheit. Spontanes Sich- Äußern eines Charakters, der wesentlich in sich ruht, aber auf das, was geschieht oder sich daraus ergibt, empfindsam und letztlich beherrschend reagiert. Wachstum und Fügung in eins gebracht. Sein als Summe von Gewesensein und Seinwerden. Alles Leben, das seiner gewahr ist, ist nachbedacht und vorbewusst. Und Bilder sind es als Summe ihres Werdens par excellence, alle Kunst weist über sich hinaus. Auch in der Bescheidung, die den oberflächlichen Glanz verschmäht, stellen sie an sich selbst den höchsten Anspruch, den der Wahrhaftigkeit jenseits aller beweisbaren Wahrheiten.

Franz Srownal ist nicht verführbar durch das, was man heutzutage Trends zu nennen pflegt. Sein Werk erscheint bei aller Frische der Einzelarbeiten homogen und konsequent. Das verdankt sich seiner Arbeitsweise, die unbeirrt sachbezogen ist. Die Materialien sind die klassischen, die Methoden desgleichen. Das engt nicht ein, wenn man innerlich frei ist, es ermöglicht Vielfalt, und die Frische scheint garantiert durch Unerschöpflichkeit. All das bedarf nicht der Extravaganz. Was ist, ist zugleich anders und erscheint neu. Es ist das ewig junge Zusammenspiel von Körper, Fläche und Linie. Ersterer nicht nur in dem Sinne, in dem geschlossene Flächen im Bildraum Körper zu sein beanspruchen, sondern der Farbauftrag, in der Regel eben, ist manchmal pastenhaft verstrichen, mit aufgeworfenen Randwülsten, die sich in Licht und Schatten zu Bewusstsein bringen; manchmal teigig gewölbt. Manchmal gibt die Masse in Körnigkeit gar taktile Signale. Nicht sind Fremdkörper ins Bild gebracht; gelegentlich auf den Grund geklebte Zettel sind vielmehr unter die Malschicht zurückgenommen und geben nur dem vertiefteren Blick ihren Umriss zu erkennen. Die Malerei nimmt über solche Vorgaben den eigenen Weg, erfährt aber ihrerseits manchmal eine abschließende Regulierung durch lineare Ritzungen, die den Untergrund freilegen, oder durch energisch über das Ganze hinweg gezeichnete Züge mit dem letztlich dominierenden Schwarz von Kohle. So wird die Malfläche sowohl nach hinten wie nach vorn ins Räumliche erweitert.

Dem dient auch der das Werk bestimmende Kontrast von Hell und Dunkel. Kein scharfes Aufeinanderprallen einander widersprechender Farben, sondern die unterschiedliche Gewichtung von Tönen, die letztlich einer gemeinsamen Skala entstammen. Es sind vor allem die warmen, erdhaften: von cremigem Grau-Weiß, hellem Ocker und gebrochenem Orange über sattes, dunkelndes Rot, Grau- und Brauntöne zu Umbra und mattem Schwarz. Manchmal gewinnt helles Grau in der Nachbarschaft von Beige und stumpfem Ocker und im Zusammenklang mit Schwarz und Weiß eine zarte bläuliche Anmutung. Farblicher Reichtum in der Beschränkung, Vielstimmigkeit durch Valeurs, die auch schwingt zwischen der Festigkeit opaker Farbzonen und der Schwerelosigkeit schleiernder Lasuren. In diese Klangdichte bringt das, was sich dann allein der Linie verdankt, eine tragende, weil getragene Solostimme ein. Im Ganzen eine Bildkunst, die nicht luftig schwebend ist, sondern erdhaft verharrend, nicht ungebunden, sondern in der Bindung das Überdauern bezeugend.

 

Prof. Dr. Franz Joseph van der Grinten geboren 1933 in Kranenburg, Kreis Kleve am Niederrhein Von 1954 bis 1959 studierte van der Grinten Jura und Germanistik an der Universität zu Köln und an der Universität München und von 1959 bis 1965 Philosophie, Psychologie, Anglistik, Romanistik und Kunst-wissenschaft an der Universität Bonn. Seit 1960 veröffentlicht van der Grinten wichtige Beiträge zur modernen Kunst, zur alten Kunst und zur Denkmalpflege sowie zu einzelnen Künstlerpersönlichkeiten.

Von 1993 bis 2003 war van der Grinten – bis zu dessen Tod gemeinsam mit seinem Bruder Hans – Direktor des Joseph-Beuys-Archivs und des Museums Schloss Moyland, zu dessen Stiftung die beiden Brüder ihre international renommierte Kunstsammlung beitrugen.

1946 lernten Franz Joseph und Hans van der Grinten den einige Jahre älteren Joseph Beuys in Kleve kennen. Zur Kunstsammlung der beiden van der Grintens, die sie seit 1946 zusammentrugen, gehört ein umfassender Bestand an Werken und Dokumenten zu Beuys (rund 5.000 Arbeiten).