Statements

Roland Scotti - Dazwischen
Einige Überlegungen zum Werk von Franz Srownal

Realismus und Konkretion

Im ersten Augenschein fällt das künstlerische Werk des Malers, Zeichners und Grafikers Franz Srownal aus der Zeit – es wirkt einerseits, scheinbar negativ, A-historisch oder nicht auf der Höhe der Zeit, andererseits erscheint es mir, in einem positiven Sinne, zeitlos. Diese Ambivalenz des ersten Eindrucks mag seine Begründung in dem Umstand finden, dass man in den Arbeiten des 1949 geborenen Künstlers kaum eine Reaktion auf all jene modischen Kunstströmungen der Jahre 1970 bis 2000 findet, die inzwischen in den als Lifestylemagazinen getarnten Kunstzeitschriften fast zu Ende reproduziert wurden. Srownals Werk steht irgendwie daneben, wirkt im besten Sinne autonom, könnte in seinen Anfängen noch am ehesten mit den Arbeiten der 1960er Berliner Realisten um Ulrich Baehr, Peter Sorge, Wolfgang Petrick und Lambert Maria Wintersberger in einen Zusammenhang gestellt werden. Wobei man ebenso klar festhalten muss, dass der um fast eine Generation jüngere Srownal seinen „Kritischen Realismus“ kaum je so plakativ oder Pop-art-mäßig formulierte wie beispielsweise Siegfried Neuenhausen.

In den frühen Figurationen erscheinen zwar Hinweise auf Verwundungen, Tod oder Schmerz, vielleicht auch Sexualität, aber Srownal zeigt dies weniger im Motivischen, eher ist es in der Art und Weise der Gestaltung aufgehoben. So gibt es das Phänomen einer scheinbar zerrissenen Komposition, rein technisch eine Bildüberlagerung, andererseits kann eine Pinselspur als Mullbinde gedeutet werden, zwei gekreuzte Farbformen werden selbstverständlich als Zeichen des Todes gelesen, skripturale Linienführungen, die innerhalb einer Komposition oft zwischen Formen vermitteln, können als Mitteilungsrelikte aufgefasst werden – eigentliches Thema des Künstlers ist und bleibt offensichtlich sein Metier beziehungsweise sein Material, der Gehalt ergibt sich dann aus der Verwendung oder Anwendung ebendieses: In gewisser Weise arbeitet Franz Srownal am Wesenhaften der Kunst.

Eine der wichtigsten Konstanten im bisherigen Gesamtwerk von Franz Srownal ist die Kombination, besser Durchdringung von figurativen und abstrakten (das meine ich im kunsthistorischen Sinn von „konkreten“) Elementen. Auf der strukturellen Bildebene kann man dies mit der Konfrontation der gestischen mit den konstruktiven Momenten des Bildbaus bei Franz Srownal gleichsetzen. Denn Srownals Bilder sind bei aller scheinbaren Spontaneität der Form- und Farbsetzung zwar nicht kalkuliert, nicht berechnet, aber sorgfältig gebaut – und das, selbst wenn die Grundlage der Konstruktion ganz einfach aus der langjährigen Erfahrung mit dem Handwerk, mit dem Farb- und Formenrepertoire kommt.

Bei Srownal sind die Dinge im Gleichgewicht – allerdings nicht nur die Dinge und die Bildgegenstände, sondern anscheinend auch die polaren Kunsttendenzen Abstraktion und Realismus. Und dies verbindet ihn mit einer jener Kunstrichtungen des 20. Jahrhunderts, deren ästhetische, aber auch kulturelle Bedeutung aus den verschiedensten, meist ideologischen Gründen bis heute nicht angemessen beschrieben wurde: die Nachfolge des deutschen Expressionismus in der Kunst, nach 1945 und insbesondere nach 1970.

Franz Srownal gehört sicher zu jenen Künstlern der heutigen Zeit, die auf sehr hohem Niveau diese Tradition der Kunst fortsetzen, in der die Condition humaine sowohl im Dargestellten wie auch in der Darstellungsweise Teil des Kunstwerks sind.

 

Figur und Raum

Srownals künstlerisches Handeln geht von einer (seiner!) Welterfahrung aus – vom Gesehenen, Erlebten, Gespürten, von der eigenen Wahrnehmung der komplexen Realitätsschichten zwischen Alltag und Kunst. Aber Srownal illustriert die Erfahrung nicht, er wiederholt nicht in der Kunst den Alltag. Eher erfindet Srownal bildnerische Äquivalente für grundlegende menschliche Erfahrungen, aber auch für ebenso grundlegende ästhetische Fragestellungen.

Schon in jenen Arbeiten, die der Künstler in seinem persönlichen digitalen Werkverzeichnis als „alt“ führt, wird offenkundig, dass er die figurativen Formen, manchmal auch Versatzstücke, nutzt, um vielschichtige Bildräume in Szene zu setzen, in denen malerische Raumillusion mit einer klar definierten Flächigkeit kontrastiert. Auf diese Weise steigert Srownal die Bildspannung oder die Bilddynamik – erprobt fast bis zum Zerreißen die Möglichkeiten, im Bildnerischen zwischen figurativer Suggestion und reiner Materialität zu changieren. Durch die Wahl einer eher zurückhaltenden Farbigkeit, meist mit gebrochenen, mineralischen Farbtönen und sehr wenigen Buntwerten, mildert der Künstler die strukturelle Expressivität seiner Bildwelten, harmonisiert mithin das Explosive seines Gestus’ – ich würde behaupten, er stabilisiert mit und in der Farbe die zerbrochenen Figuren und den aufgebrochenen, multidimensionalen Raum.

Dies mag eine der Bildstrategien Srownals sein: eine Welt zu formulieren, die im gleichen Augenblick bewegt und erstarrt ist. Es kann aber auch eine von mir an das Werk herangetragene Interpretation sein – die sich darauf gründet, dass der Künstler im Medium der Malerei und der Zeichnung fast unterschwellig auch Probleme der dreidimensionalen Künste, der Plastik und der Bildhauerei, thematisiert: eben die Stellung der Figur im und zum Raum, die Frage der Gruppe im Raum, die Frage der Masse beziehungsweise Schwere und Leichtigkeit, die Frage nach opaker Verdichtung und auflösender Transparenz, die Frage nach Ein- oder Mehransichtigkeit, nach Vorder- und Hintergrund und, ganz zentral, die Frage der Bewegung im Raum, besser der Spuren, welche Bewegungen von Menschen, Dingen, vielleicht auch Vorstellungen in einem Raum hinterlassen.

 

Zeit und Raum

Im Grunde visualisiert Franz Srownal Erinnerungen. Zum einen sind seine Werke die tatsächlichen Zeugnisse der Bewegung seiner Hände, seiner Arme, seines Körpers vor und auf der Arbeitsfläche, zum anderen werden sie in unseren Augen, in unserer Imagination, zu Manifestationen eines dynamischen Prozesses, der nur für einen kurzen Augenblick, für die Sekunde oder die Stunde unserer Wahrnehmungsdauer, in einem konkreten Kunstwerk, eben einem realen Gegenstand zum Stillstand gekommen ist.

Im gelegentlich architektonischen, immer aber auch tektonischen und plastischen Bildaufbau können wir, die Betrachter, sowohl das Werden des Bildes ablesen oder nachvollziehen (Srownal zeigt das Machen wie das Gemachte) als auch Geschichten von Aufbau und Zerstörung hinzuerfinden. Wobei die Assoziationen letztlich durch den formalen und strukturellen Reichtum innerhalb des einzelnen Werks gefüttert, natürlich besser unterfüttert werden.

Abgesehen von allen Dingen, die wir, manchmal auch angeleitet von der Titelgebung Srownals, zu erkennen glauben – seien es Personen, Körperteile, Pflanzenabdrücke, Maschinenfragmente, Mauerreste, Erdschichtungen, Wallanlagen, Verliese, Industrieruinen, Innenräume, Landschaften, Tanzgruppen, Stillleben, Aktfiguren, Skelettfragmente, Schriftzeichen, Symbole – immer nehmen wir Zeit war: Die reale Zeit der Bildentstehung ebenso wie die fiktive Zeit, die im Bildraum nicht mehr vergeht, uns aber doch etwas Vergangenes präsentiert.

Ich vermute, dass jeder Betrachter bewusst oder unbewusst dieses Paradoxon spürt, dass daher vielleicht meine eingangs geäußerte Vermutung resultiert: die Werke Franz Srownals „fielen aus der Zeit“. Das tun sie in der Tat, weil sie genau diesen Eindruck erwecken beziehungsweise erzeugen wollen – manche der Arbeiten sind ja auch fast seriell angelegt, hängt man sie nebeneinander, lässt man sie in der Vorstellung mit Überblendungen „durchlaufen“, so erkennt man eine Abfolge von Bewegungen, von veränderten künstlerischen Eingriffen in einen in der Grundform ähnlichen Bildgegenstand – ganz so, als würde man in einer Art Zeitraffer miterleben, wie die Natur, die Zeit an sich beständig umformt, jede Form in jedem Moment neu definiert.

Franz Srownal vollzieht in seiner expressiven Gestik, im ungestümen Farbauftrag, in der heftig geführten Linie, im massiven Einritzen, im Übermalen, Verwischen, in einer auch lustvoll das Material gegen den Strich bürstenden Kraft gewisser Lebensprozesse nach – besser: Er führt diese vor, er zeigt sie als vitalistische Ereignisse, die im Kunstwerk glücklicherweise der Vergänglichkeit entzogen sind, an denen sich zwar die Spuren der Zeit offenbaren, die aber bei aller Transformation immer sichtbar bleiben: zeitlos in der Zeit aufgehoben sind.

Mir selbst erscheinen die Arbeiten Srownals wie die bildliche Entsprechung zu einem Spruch des Surrealisten André Breton, den dieser am Ende seines Romans Nadja (1928) wie ein Motto platzierte: „La beauté sera convulsive ou ne sera pas“ (Die Schönheit wird konvulsivisch sein – oder sie wird nicht sein). Die von Srownal geschaffene Bildwirklichkeit ist jenseits alles surrealistischen Tamtams konvulsiv, nämlich stimulierend, assoziationsreich und bilderzeugend – und das erscheint mir heutzutage sehr viel.

 

Dr. Roland Scotti 1957 geboren in Ludwigshafen am Rhein; französischer Staatsbürger.
Nach dem Studium der Kunstgeschichte, der ostasiatischen Kunstgeschichte und der Romanistik ab 1986 als Wissenschaftlicher Angestellter für verschiedene Institutionen tätig, darunter das Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen am Rhein und das Museum Ludwig in Köln. In dieser Zeit nebenberufliche Tätigkeiten als freier Ausstellungsmacher, Fernsehredakteur, Schriftsteller und Leiter der Galerie für zeitgenössische Fotografie „1-2-3“ in Mannheim. Von Februar 1997 bis Ende April 2006 Kurator des Kirchner Museums Davos.
Seit Mai 2006 Kurator der Stiftung Liner (Museum Liner/Kunsthalle Ziegelhütte) in Appenzell. Zahlreiche Publikationen zur Kunst der klassischen Avantgarde, zur Kunst der 60er Jahre, zur zeitgenössischen Malerei und zur Geschichte der Fotografie.